Gesa Langwasser will nach dem Tod ihrer Tante die Nachfolge als
Hebamme antreten. Von ihr hat sie schon einiges über die Arbeit der
Hebammen gelernt, doch die Geburtshilfe ist zum akademischen Fach
erhoben worden, und somit muss Gesa erst eine Prüfung bei Prof. Kilian,
im Accouhierhaus Haus Am Grün in Marburg ablegen. In das Gebärhaus
begeben sich nur die Ärmsten oder unverheiratete Schwangere. Dort finden
die Geburten unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. Die in diesem
Haus angewendeten Werkzeuge jagen den niederkommenden Frauen Angst und
Schrecken ein; die Sterblichkeitsrate ist enorm hoch, doch den Frauen
bleibt keine andere Wahl. Für die Ärzte sind diese Frauen eine gute
Möglichkeit den weiblichen Körper und die Geburtsvorgänge zu erforschen.
Gesa findet dies abschreckend, doch auch sie ist hilflos. Die
Bürgerinnen vertrauen auf das Können der ortsansässigen Hebamme Elgin
Gottschalk. Diese hält nichts von dem Geburtshaus und lehnt jegliche
Zusammenarbeit ab. Zudem hat die Gottschalkin, wie sie von den
Dorfbewohnern genannt wird, eigene Probleme. Sie hat ein Verhältnis mit
dem Apotheker Lambert, der in Kürze Therese Herbst heiraten wird. Elgin
beendet das Verhältnis. Lambert kann dies nicht verwinden und stürzt sie
beide ins Unglück.
Es fällt sehr schwer, sich an den Schreibstil von Kerstin Cantz zu
gewöhnen. Die schnellen Gedankenwechsel der Autorin tragen nicht gerade
dazu bei, dass man sich im Geschehen schnell zurechtfindet. Vielleicht
liegt es daran, dass die Autorin ursprünglich aus dem Bereich Drehbuch
stammt. Die Einblicke in die medizinische Geschichte der Gynäkologie,
dies darf man der Autorin zugute halten, hat sie sehr realistisch
gegeben. Der Leser kann sich daher durchaus in die damalige Zeit
versetzt fühlen. Sie beschreibt die Geburten, die zu jener Zeit mit
vielen Gefahren verbunden waren, sehr faktisch. Sehr interessant sind
auch beispielweise die Schilderungen, wie das Handeln zur damaligen Zeit
aussah, wenn Kinder nicht die richtige Lage hatten, und für die Frauen
größte Lebensgefahr bestand. Auch die hygienischen Bedingungen werden
thematisch behandelt; viele Frauen und Kinder starben während oder kurz
nach der Geburt. Die Hebamme kannten auch einige Kräuter, die bei
ungewollten Schwangerschaften eine Abtreibung einleiteten. Viele Frauen
waren von den etlichen schnell hintereinander folgenden Schwangerschaften sehr entkräftet.
Die schwierigen Lebensumstände beschreibt die Autorin so interessant,
dass ein gewisser Bann zwar aufgebaut wird, der Leser benötigt meiner
Ansicht nach aber bis mindestens zur Hälfte des Buches, um ein
entspanntes Verhältnis zum Stil zu erhalten. Diese Tatsache erlaubt es,
ein Augenmerk auf ein eventuell neues Buch Kerstin Cantz zu legen.
Enttäuschend fand ich das Ende, es erweckte den Eindruck, als sei der
Schluss schnell vorangetrieben worden und wirkte auf mich auch sehr
verwirrend.
Fazit: Angesichts der doch stellenweise guten Ansätze, wäre es durchaus ratsam ein Augenmerk auf ein eventuell neues Buch der Autorin zu werfen.
Biographie:
Kerstin Cantz
Kerstin Cantz wurde 1958 in Potsdam geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf.
Nach dem Publizistik-Studium arbeitete sie als freie Journalistin, war
Redakteurin bei einem privaten Fernsehsender und schrieb Drehbücher. Die
Hebamme ist ihr erster historischer Roman. Heute lebt sie mit ihrer
Familie in München.
Leseprobe
Mit freundlicher Genehmigung des Diana Verlages.
www.randomhouse.de/diana
MARBURG, MÄRZ 1799
Sie hatte nicht erwartet, dass der Schmerz aus der Mitte des Rückens
kommen würde, und nun zerrte er an ihr, als wollte er sie in Stücke
reißen. Wenn er ihr eine Ruhepause gönnte, dann nur, um danach noch
zorniger zu werden.
Feine Schneeflocken schwebten an ihr vorüber, berührten sie kaum,
schienen nur die Nacht ein wenig heller zu machen, und kälter. Der
Winter war noch einmal zurückgekehrt, als hätte er in den Wäldern vor
den Toren der Stadt nur darauf gewartet, sie in dieser Nacht hier
anzutreffen und ihr alles noch schwerer zu machen.
Alle waren gegen sie, davon war sie inzwischen überzeugt. Alle, die in
den Häusern der Oberstadt schliefen. Denen es nicht passieren konnte wie
ihr, schnurstracks in die Hölle zu geraten für etwas, das ohne jedes
Versprechen über sie gekommen war. Das reichte, um gegen sie zu sein.
Sie konnte nicht anders, als zu glauben, dass sie es verdiente. Etwas
anderes hatte man ihr nicht beigebracht.
Sie lief, so schnell sie konnte, und kam doch kaum voran auf der alten
Pilgerstraße, die unten an der Stadt entlangführte. Ihre Füße fühlte sie
nicht mehr, sie hatten in der Kälte jede Beweglichkeit verloren, fanden
keinen Halt auf dem steinigen Weg.
Sie hatte es nicht gewagt, ihre Holzschuhe mitzunehmen, denn sie musste
auf ihrer Flucht jedes Geräusch vermeiden. Heute Nacht war sie das erste
Mal froh gewesen über das Schnarchen der alten Textor, deren schlechter
Atem ihr mehrfach ins Gesicht geschlagen war. Dann, wenn sie nach ihren
Wehen gefragt hatte.
Keine der anderen Frauen hatte sie aufgehalten, und sie hatte nicht
darauf geachtet, ob sie schliefen oder vielleicht wach lagen in den
harten, mit muffigem Stroh gestopften Betten. In wenigen Stunden würde
eine von ihnen wieder hinter die Flügel jener Tür geführt werden. Im
Fortgehen hatte sie es vermieden, dort hinzuschauen, als könnten sie
sich plötzlich öffnen und sie für alle Ewigkeit verschlucken.
Draußen hatte sie den Fluss gerochen und für einen Moment in Erwägung
gezogen, allem ein Ende zu setzen. Doch dann war der Schmerz
zurückgekommen, in einer mächtigen Welle, um sie von dem Haus nahe der
Brücke fortzutreiben. Dieser Schmerz, den sie gefürchtet und den sie
seit Einsetzen der Dunkelheit belauscht hatte. Sie durfte sich doch
nicht verraten, denn was sie dort erwartet hätte, wäre noch schlimmer
gewesen als alles, was sie bisher über sich ergehen lassen musste. Das
hatte sie begriffen in den Tagen, die mit Angst begannen, noch bevor man
sie rief und die Scham sie durchflutete.
Wenn die Hände der Alten sie mit rohen Griffen auf den Tisch hievten,
vor die wartenden Männer.Wenn dieses Zittern durch ihren Körper lief,
das sie nicht beherrschen konnte. Immer hielt sie den Blick gesenkt, sie
wollte sich schützen, nur ein Versuch. Hände hatten ihren Leib
betastet, waren in sie eingedrungen, als suchten sie in ihr nach einem
düsteren Geheimnis. Worte, deren Bedeutung sie nicht verstand und die
nie an sie gerichtet waren, sprachen sie schuldig, immer wieder, jeden
Tag.
Sie wusste von Werkzeugen, mit denen sie das Leben aus ihr herauszerren
würden. Sie hatte die Schreie einer Frau gehört und den barschen Ton der
Alten, der diese zu einem Wimmern erstickte.
Ein leichter Wind fuhr durch die Bäume des verwilderten Parks, an dem
sie vorbeimusste. Sie hörte Äste knarren und zog das Schultertuch enger
um sich. Sie versuchte, ihre Schritte zu beschleunigen, und plötzlich,
ohne dass erneuter Schmerz sie gewarnt hätte, spürte sie einen heißen
Schwall zwischen den Beinen hervorbrechen. Sie suchte Halt, und für
einen Momentspürte sie die zerfurchte Rinde eines Baumriesen so
hoffnungsvoll wie eine menschliche Berührung. Ein Schluchzen stieg in
ihr hoch, sie schlug die Hand vor den Mund, um es nicht herauszulassen.
Mit der anderen umschlang sie ihren Bauch, der hart war und sie nach
unten zog, sodass sie ihm am liebsten nachgegeben hätte. Sie wollte auf
die Knie fallen, sich auf dieHände stützen, das Gewicht von ihren
steifen Beinen nehmen, von den wunden Füßen. Sie wollte ihren Rücken
lehnen an etwas, das sie wärmend stützte, und alles geschehen lassen,
auch die Schmerzen. Sie wollte schreien.
Stattdessen setzte sie ihren Weg fort und lief weiter auf der dunklen
Straße, ohne jemandes Schlaf zu stören. Sie hatte es nicht mehr weit bis
zum Haus des Töpfers, dort, wo sie als Magd verdingt gewesen war, und
wo man sie weggeschickthatte. Die Dienstherrin hatte gesagt, es sei zu
ihrem Besten, aber sie wusste doch nicht, wovon sie redete, als sie ihr
versprach, sie würden ihr helfen in jenem Haus. Sie hatte vielleichtnoch
nie gehört, was die Leute erzählten. Oder doch?
Im Laufen schlangen sich die Röcke um ihre Beine, durchnässt und schwer,
als wäre sie durch Schlamm gewatet. Sie stellte sich die Stiege vor und
zählte im Stillen die Stufen, die außen am Haus zur Öffnung des
Dachstuhls führten, wo sie das Stroh lagerten. Sie würde der Versuchung
widerstehen müssen,sich unten in der Werkstatt am Brennofen aufzuwärmen,
denn er wurde bewacht.Und sie würde alle Kraft brauchen, unbemerkt
hinaufzukommen. Sie würde alle Kraft brauchen, ihr Kind zu gebären. Ohne
einen Laut.
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